Der KHG-Chor mit Schönbergs Vermächtnis in der Tübinger Stiftskirche

Ein katholischer Chor in einer evangelischen Kirche mit dem Werk eines jüdischen Komponisten: Interreligiöse Kulturarbeit war angesagt beim Auftritt von KHG-Chor und Orchester Sinfonia 02 mit Schönbergs letzter Psalmvertonung in der Tübinger Stiftskirche. Ein ambitioniertes Unterfangen.

Von Jörg Riedlbauer

TÜBINGEN. Was für ein starkes Bekenntnis zur interreligiösen Kulturarbeit: Ein katholischer Chor führt in einer evangelischen Kirche die Psalm-Vertonung eines jüdischen Komponisten auf. Arnold Schönberg notierte wenige Monate vor seinem Tod 1951 als letzten musikalischen Gedanken den ergreifenden Dialog eines erlösungsbedürftigen Menschen mit Gott. So, wie dies auch die alttestamentarischen 150 Psalmen prägt. Schönberg plante damals einen ganzen Zyklus sogenannter »Moderner Psalmen« auf der Textgrundlage seiner persönlich angelegten Sammlung von »Gebeten und anderen Gesprächen mit und über Gott«. Vertonen konnte er jedoch einzig den ersten, dem er die Ordnungsnummer »151« voranstellte - Ausdruck seines Sendungsbewusstseins wie seiner tief im Glauben verwurzelten Kunst.

Diesem tief bewegenden Vermächtnis Schönbergs nahm sich nun in der Tübinger Stiftskirche der Chor der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) mit dem Stuttgarter Orchester Sinfonia 02 an. Was für eine Aufgabe für ein nichtprofessionelles, wiewohl ambitioniertes Ensemble! Und was für ein unkonventioneller Beitrag zum 150. Geburtstag des Komponisten.

Souverän in der Zwölftonstruktur
Der Ambition folgte die Qualität. Der von Jan Stoertzenbach vorzüglich einstudierte KHG-Chor erwies sich souverän im Umgang mit der Zwölftonstruktur, sowohl linear im Verlauf der Einzelstimmen als auch im Zusammenklang. Hierbei gewann im Verbund mit dem Orchester der Dirigent mit seiner präzisen Zeichengebung und seiner klangmodellierenden Gestik dem Werk ein hohes Maß an Sinnlichkeit und Expressivität ab.

Überdies fesselte Sebastian Walser als Sprecher die Aufmerksamkeit des Publikums. Der international konzertierende junge Bariton war für die Umsetzung von Schönbergs Prinzip einer »Sprechmelodie« ideal besetzt. Diese verlangt die Musikalität eines Sängers wie die Deklamationsschärfe eines Rezitators. Die Sprechstimme gleitet dabei zwischen den vorgegebenen Noten hin und her, ohne sie zu singen, muss jedoch den Wortrhythmus genauestens einhalten. Was Walser sehr eindringlich gelang.

Klangsinnliches Requiem
Auch die beiden weiteren Werke kamen aus dem Raritätenkabinett: Brahms' »Schicksalslied« auf einen Text von Hölderlin und das c-Moll-Requiem von Luigi Cherubini. Dieser chorsymphonische Koloss entfaltete in der Stiftskirche seine ganze Schönheit. Stoertzenbach nahm sich hochsensibel und mit spürbarer Leidenschaft der Partitur an, die mit ihrer Instrumentation bereits auf Berlioz und dessen Klangreize weist. Der KHG-Chor erwies sich als perfekter Textgestalter. Die einzelnen Stimmgruppen waren zudem bestens in das Orchestergefüge eingebunden. Mit kontrastfreudiger Ausdrucksgestaltung entfachte die Wiedergabe auf spannungsreiche Weise das frühromantische Feuer der Komposition, sei es im dramatisch akzentuierten »Dies irae«, im zartstimmigen »Pie Jesus« oder im geradezu schwelgerischen Offertorium.

Alleine das Durchhaltevermögen von KHG-Chor und Sinfonia 02-Orchester ist zu bewundern, nach zwei solch anspruchsvollen, zugleich kräftezehrenden Werken noch das selten zu hörende »Schicksalslied« von Brahms anzuschließen. Es gelang ihnen ergreifend bis zum sinfonischen Nachspiel. Zuvor wandelten die Soprane wahrhaft »droben im Licht«, bereiteten ihnen die Bässe »weichen Boden« und woben die Alti und Tenöre ihre Mittelstimmen zur Harmonie der »glänzenden Götterlüfte«, wie dies alles von Hölderlins Text vorgegeben ist. Sehr erfreulich, wie bei diesem Konzert Repertoirewert und künstlerische Qualität zusammenkamen. (GEA)