Wege in die Moderne

Der KHG-Chor sang am Sonntag in der Lustnauer Petruskirche Hugo Distlers „Mörike-Chorliederbuch“

(ach) Tübingen. Hugo Distler war ein Erneuerer der evangelischen Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Ab 1937 lehrte er an der Musikhochschule Stuttgart, 1940 wurde er nach Berlin berufen. Unter zunehmendem Druck des nationalsozialistischen Regimes nahm er sich 1942 mit 34 Jahren das Leben.

Distlers selten aufgeführtes „Mörike-Chorliederbuch“ von 1939 ist ein Meilenstein moderner Vokalmusik: Die 42 Chorsätze nach Gedichten von Eduard Mörike ersinnen eine ganz eigene Klangsprache. Zumal in ihrer kleingliedrig kantigen Rhythmik sind sie recht anspruchsvoll.

Der Chor der Katholischen Hochschulgemeinde sang am Sonntag in St. Petrus 20 Sätze aus dem „Mörike-Chorliederbuch“. Chorleiter Jan Stoertzenbach war hier ganz in seinem Element: punktgenaue rhythmische Präzision, sensible Textausdeutung, dramaturgische Stringenz und prägnant herausgearbeitete Klangfarben. Ein frischer, verwandlungsfähiger, expressiver Chorklang: dynamisch differenziert, griffig artikuliert und durchweg textverständlich. Distlers spröde Harmonik bekam plastische Sinnlichkeit, die sperrige Rhythmik gestische Natürlichkeit. Stoertzenbach machte die Brechungen hörbar. Wie sich etwa im „Wanderlied“ Romantisch-Volksliedhaftes und innovativ Modernes ineinander spiegeln.

Beim „Handwerkerlied“ traten aus dem 55-stimmigen Chor gekonnt kleine Soli hervor. In der Ballade „Schön Rohtraut“ raunte der Kehrvers „Schweig stille, mein Herze“ magisch changierend. In der direkten, klaren Akustik der Petruskirche waren die Detailfeinheiten der Interpretation schön hörbar. „Herr, schicke, was du willt“. „Gelassen stieg die Nacht ans Land“. „Ein Stündlein wohl vor Tag“. Besonders gut gefielen „Denk es, o Seele“ und „Der Feuerreiter“, atemlos gespenstisch.

Zwischen den Sätzen las Chor-Tenor Andreas Giannakidis aus Mörike-Briefen an Verwandte, Freunde, die zeitweilige Verlobte Luise Rau. Findig recherchiert und aufs Stichwort zu den Chorstücken ausgewählt, so dass sich Leben und Lyrik wechselseitig kommentierten. Spannend wäre es auch gewesen, Distlers Biografie und Briefwechsel kontrastierend dagegen zu halten. Wobei die allzu häufigen Mörike-Briefzitate vor und nach jedem Musikstück den musikalischen Fluss zu oft unterbrachen.

Vier Stücke für Querflöte solo, virtuos und farbvoll musiziert von Chor-Sopranistin Kathrin Erhardt, stellten Gegenpositionen der französischen Moderne neben Distler, darunter Debussys „Syrinx“ sowie Miniaturen von Poulenc, Honegger und Ferroud. Begeisterter Schlussapplaus der 180 Zuhörer.