Eine neue Handschrift
Konzert Jan Stoertzenbach debütiert mit Händels „Messiah"
Tübingen. Ein minimalistisches Dirigat. Kleine Bewegungen, die Hände meist dicht vor der Brust. Oft kaum mehr als ein Wink, ein Fingerzeig. Aber eine ungeheure Klangwirkung und Präsenz. Ein sehr bemerkenswertes Antrittskonzert des erst 30-jährigen Jan Stoertzenbach als neuer Leiter des KHG-Chors. Zum Beifall erhoben sich die über 950 Zuhörer in der Stiftskirche in einer einzigen großen Bewegung.
Nicht weniger erstaunlich, wie schnell sich der Chor der Katholischen Hochschulgemeinde auf Stoertzenbachs Klangästhetik eingestellt hat: voller, runder, fließender als das ätherisch körperlose Klangideal seines Vorgängers Peter Lorenz. Ein gut 60-stimmiger, intonationssicherer, natürlicher Chorklang, der eine präzise umgesetzte neue Handschrift trug.
Für sein Debüt hatte Stoertzenbach das renommierte Augsburger Barock-Ensemble „La Banda" engagiert: zwölf Streicher und Truhenorgel, Oboen und Fagott - ein außergewöhnlich schlanker Orchesterklang, dynamisch sehr anpassungsfähig und immer genau unter der Lautstärke der Vokal- und Chorpartien geblieben, im allerbesten Sinne begleitend. Selten hat man eine so mühelose Transparenz gehört, da der Chor nie übers Orchester hinwegforcieren musste und nirgends übertönt wurde.
Den Vokal-Soli ließ Stoertzenbach Zeit für Gestaltungsfreiheiten, griff Impulse auf, hielt nicht die Zügel in der Hand, sondern führte Fäden zusammen. Sopranistin Malgorzata Roclawska mit magischen Momenten in der Höhe und immer wieder neu aufblühenden improvisierten Verzierungen. Eindrucksvoll Seda Amir-Karayans tiefes Alt-Register. Substanzreich, fast romantisch Raoul Bumillers Tenor; Bass Johannes Fritsche mit drängendem Furor.
Im Solisten-Quartett hätte man sich noch mehr barocken Affekt-Ausdruck gewünscht, zumal im zweiten Teil, der nach der ersten überwältigenden Oratorien-Stunde an Spannung verlor. Als Kontrast zum Weihnachts- und Auferstehungs-Dur der beiden Rahmen-Teile müsste die zentrale Passionsgeschichte in Jammer, Trauer und Leid ein größerer Kontrast sein. Hier hätten auch die sichelnden Punktierungen und harten Staccato-Akzente im Orchester deutlich schärfer und schroffer sein können. Bei zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer hätte man auch ein wenig kürzen können. Der „Messiah" ist ja kein abgeschlossener Werkzyklus, eher eine Art Fundus, den auch Händel recht frei handhabte. Wobei Man auf keinen der Chorsätze hätte verzichten wollen - jeder einzelne ein Glanzlicht dieses Debüts. Achim Stricker