"Arnold Schönbergs Moderner Psalm Op.50c ist das letzte Werk Arnold Schönbergs, an dem er bis unmittelbar vor seinem Tod arbeitete...[und darüber vertarb?]", so beginnt schon unser Begleittext zum Programm. Wir gehen aber davon aus, dass Sie beim Zuhören nicht in Gefahr schweben ;-)

Nebenwirkungen können sich aber schon einstellen. Bei uns wärend der Proben kommt es regelmäßig zu Orientierungslosigleit und vergeblicher Tonsuche. In seltenen Fällen zu Erkenntnis, vereinzelt Heiterkeit. Kann Schönberg nicht mal eine einzige Phrase auf der Tonika enden lassen? Und Schönberg so: "Nö".

Da ist gar keine Tonika, auf der man enden könnte. Auch eine Gruppe von Dreik- oder Mehrklängen passend zu einer Tonart, die für dieses oder jenes Genre typisch wären, fehlen einfach. Melodieführungen, die den geübten Zurhörer wissen lassen, dass gleich ein Bogen zuende kommt? Nope.

Es ist wirklich wie das Erlernen einer neuen Sprache. Ganz eigene Regeln, die Arnold Schönberg ausgearbeitet hat: Alle zwölf Töne der Tonleiter haben gleichberechtigt zu sein. Kein Ton ist hörbarer Schwerpunkt. In eine Phrase sollen zudem auch alle zwölf Töne vorgekommen sein. So eine Folge von zwölf Tönen ist dann eine sogenannte Grundreihe.

Ok, das könnte man auch per Los aus eine Urne ziehen. Wie soll nun Musik daraus werden? Ohne gestaltete Strukturen wäre es ja einfach nur "Katze auf Klavier" oder Rauschen. Hier wird Schönberg fast schon geometrisch: Man nehme so eine Grundreihe und spiegele sie. Zeitliche Spiegelung: Der Krebs. Spiegelung der Tonhöhe, also oben nach unten und ungekehrt: Die Umkehrung. Oder beides. Wenn man nach diesen und anderen Regeln eine Grundreihe bearbeitet hat, kommt eine neue Grundreihe zum Einsatz.

Das klings sehr konstruiert, fast künstlich. Beließe es der Komponist oder die Komponistin dabei, käme wohl auch keine Musik dabei heraus. Letztlich ist das ohne weitere Zutaten...belanglos. Das hat alles noch nichts mit dem Text des modernen Psalms zu tun:

O, Du mein Gott: alle Völker preisen Dich und versichern Dich ihrer Ergebenheit.
Was aber kann es Dir bedeuten, ob ich das auch tue oder nicht?
Wer bin ich, daß ich glauben soll, mein Gebet sei eine Notwendigkeit?
Wenn ich Gott sage, weiß ich, daß ich damit von dem Einzigen, Ewigen, Allmächtigen, Allwissenden und Unvorstellbaren spreche, von dem ich mir ein Bild weder machen kann noch soll.
An den ich keinen Anspruch erheben darf oder kann, der mein heißestes Gebet erfüllen oder nicht beachten wird.
Und trotzdem bete ich, wie alles Lebende betet; trotzdem erbitte ich Gnaden und Wunder: Erfüllungen.
Trotzdem bete ich, denn ich will nicht des beseligenden Gefühls der Einigkeit, der Verbindung mit Dir verlustig werden.

Auch in der Zwölftonmusik wird ein Zweck verfolgt, eine Darstellung gewählt. Der Anruf "O, Du mein Gott" muss als solcher verstanden werden, Dramatik haben. Die Darstellung der Kleinheit des Menschen narrativ sein. Und das Hoffen auf Nähe zu Gott trotz aller Distanz soll als Aufrichten des Menschen erkennbar sein; Verzweiflung und Selbstmitleid ablehnend.

Nicht alle Mittel der Komposition wirft Schönberg über den Haufen. Pausen, Dynamiken, Rhythmen werden durchaus so eingesetzt, wie das auch andere Kompoistinnen und Komponisten taten. Sie werden viel beim Zuhören erkennen. Melodieführung und die fehlende Tonalität hingegen werden fremd klingen. Nichts, woran man sich festhalten könnte oder was man schon einmal gehört hat; meistens jedenfalls.

Lohnt sich das? Also für Sie als Zuhörer und für den Chor?

Lassen Sie es für uns alle eine Expedition ins Unbekannte sein. Gegebenenfalls ohne zu wissen, auf was man sich da einlässt. Ob man es schafft, das singen zu lernen. Ob man es versteht. Ob es gefällt. Spannend ist es allemal. Und wenn Sie zu dem Schluss kommen, das sei alles musikalischer Unsinn, oder uninteressant, oder faszinierend, oder inspirierend, oder nervtötend...dann sei das Ihr Urteil.