
Wer war Hugo Distler?
Hugo Distler (1908–1942) gilt als einer der wichtigsten deutschen Komponisten der Moderne im Bereich der Chormusik, gerät aber gegenüber populäreren Namen wie Mendelssohn, Brahms oder Schumann oft zu Unrecht in Vergessenheit. Distler lebte in einer Zeit des Umbruchs, zwischen Expressionismus und dem aufkommenden Nationalsozialismus. Seine Musik ist geprägt von einer ganz eigenen, unverwechselbaren Klangsprache und einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft.
Distlers Stil – Zwischen Tradition und Moderne
Distlers Chormusik schlägt eine spannende Brücke: Einerseits lässt er sich von der Renaissance-Musik, etwa durch komplexe Polyphonie und klare Textverständlichkeit, inspirieren. Andererseits schreibt er Musik, die durch frische Rhythmik, expressive Harmonien und neuartige Klangfarben sehr modern klingt. Mal zart und innig, mal rhythmisch fordernd – Distler stellt an uns als Chor hohe musikalische Ansprüche, aber genau darin liegt das Besondere: Wer Distler singt, wächst musikalisch!
Warum das „Mörike-Chorliederbuch“?
Das „Mörike-Chorliederbuch“ besteht aus mehr als 40 Vertonungen von Gedichten Eduard Mörikes und ist eines der Hauptwerke Distlers. Hier vertont er kurze, meist lyrische und sehr stimmungsvolle Texte – mitreißend, überraschend und voller Klangvielfalt. Für Chorsänger*innen bietet das Werk jede Menge Abwechslung: intime vierstimmige Sätze, raffinierte Wortmalereien und immer wieder neue musikalische Wendungen, die das Singen zur echten Entdeckungsreise machen. Es ist ein Programm für Neugierige, für alle, die Lust auf musikalische Abenteuer abseits des Mainstream haben.
Deine Stimme zählt!
Keine Sorge – auch wenn Distlers Musik anspruchsvoll ist, wirst du bei uns nicht ins kalte Wasser geworfen! Wir proben gemeinsam, geben Hilfestellungen und wachsen mit jedem Stück mehr zusammen. Egal, ob du schon Chorerfahrung hast oder neu dabei bist: Das „Mörike-Chorliederbuch“ bietet ideale Möglichkeiten, die eigene Stimme kennenzulernen, gemeinsam zu musizieren und dabei einen echten Geheimtipp der Chorszene zu erleben.

Monumental und sensationell
Der Chor der Tübinger Katholischen Hochschulgemeinde kooperierte mit dem Freiburger KHG-Orchester.
Tübingen. Es war eine Premiere und gleich auf Anhieb eine so synergetische Kooperation, dass man ihr eine lange Fortdauer wünscht. Jan Stoertzenbach und sein Chor der Tübinger Katholischen Hochschulgemeinde arbeiteten dieses Semester erstmals mit ihren Kollegen vom Freiburger KHG-Orchester (Einstudierung: Leonhard Kreutzmann) zusammen. Die Aufführung von Mendelssohns Elias"-Oratorium am Sonntag vor 750 Zuhörern in der Stiftskirche war sensationell.

Dieses Semester haben wir eine Premiere: Wir führen unser Programm zusammen mit dem KHG-Orchester aus Freiburg auf. KHG meets KHG.
In Freiburgs weitläufiger Orchesterlandschaft steht das KHG-Orchester für ein hohes musikalisches Niveau, große Motivation und Spielfreude. Aufgeschlossenheit und Interesse für außergewöhnliche Projekte und Programme zeichnen die Musizierenden ebenso aus wie ein starker Zusammenhalt unter den Mitgliedern: Neben der Musik sind Geselligkeit und außermusikalische Events von großer Bedeutung.

Der KHG-Chor sang am Samstag in der Stiftskirche anspruchsvoll ambitioniertes Kammerchor-Repertoire
Tübingen. Neue Töne beim KHG-Chor. Im Oktober 2022 übernahm Jan Stoertzenbach den Chor der Katholischen Hochschulgemeinde. Beim ersten Auftritt mit Händels „Messias“ und dem Cherubini-Requiem zeigte sich bereits seine künstlerische Handschrift.
Zu Stoertzenbachs Vision von einem transparent verschlanken Chorklang gehört über das gewohnte, oratorisch großbesetzte, klangflächen Repertoire hinaus auch die Einstudierung von ambitionierten Kammerchor-Werken wie den doppelchörigen Bach-Motetten, die zu den anspruchsvollsten barocken Vokalwerken zählen. Das schult die sängerisch-„solistische“ Initiative, bildet den rund 70-stimmigen Chorklang insgesamt durch, verfeinert das Klangbild.
Über 1000 Zuhörer kamen am Samstag in die 3202. Stiftskirchen-Motette. Auf dem Programm Johann Sebastian Bach und Domenico Scarlatti,, beide im Epochen Jahr 1685 geboren (wie auch Händel). Eingangs die Bach-Motette „Komm, Jesu, komm“ BWV 229, gefolgt von der Begräbnis-Kantate „ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn“ BWV 157. Das gesamte Programm wurde begleitet von einem Generalbass-Ensemble (Kristina Pfeffer, Truhenorgel; Felicitas Weissert, Cello; Jan Streeb Kontrabass).
Eine große Herausforderung waren die Paulus-Kommentare der Choral-Motette „Jesu, meine Freunde“ BWV 227: virtuose Vokal-Concerti und gefürchtete Zitterpartien mit filigranen, kontrapunktisch diffizilen und vollkommenen offen liegenden Stimmführungen in kleiner, hier rund 20 stimmiger Besetzung. Stoerzenbach war in seinem Element, mit Augenmerk auf klar artikulierte Text, Verständlichkeit und rhetorisch geführte barocke „Klangrede“: herausgehobene Kernworte und ausdeutende Färbungen.
Bei Scarlattis vierstimmigem Magnificat – ein zentrierender Ruhepol im Programm, kompakter und Harmonie-sinnlicher als die Bach-Motetten – entwickelte sich ein warmer, tragfähige Chor-Klang. Eindrücklich, lautmalerisch die „dispersit“ zerstreuten fertigen. Ruhevoll große Melodiebögen bis ins ausschwingende Amen.
Sehr beeindruckend zuletzt die Bach-Motette „Der Geist hilf unserer Schwachheit auf“ BWV 226, mit doppelchörig verzahnten Stereo- und Echo-Effekten, virtuos hin und her fliegende Koleraturen. Gekonnt die widerständig gegenläufig versetzten Rhythmen im imitatorischen Abschnitt „sondern der Geist selbst“ sowie die vierstimmige Chorfuge „Der aber die Herzen forschet“, die Zugkraft und sängerishes Selbstbewusstsein hatte. Würdevoll der Schlusschoral. Man darf gespannt sein, wie sich der KHG-Chorklang weiter verändert. (ach)

Der KHG-Chor mit Schönbergs Vermächtnis in der Tübinger Stiftskirche
Ein katholischer Chor in einer evangelischen Kirche mit dem Werk eines jüdischen Komponisten: Interreligiöse Kulturarbeit war angesagt beim Auftritt von KHG-Chor und Orchester Sinfonia 02 mit Schönbergs letzter Psalmvertonung in der Tübinger Stiftskirche. Ein ambitioniertes Unterfangen.
Von Jörg Riedlbauer
TÜBINGEN. Was für ein starkes Bekenntnis zur interreligiösen Kulturarbeit: Ein katholischer Chor führt in einer evangelischen Kirche die Psalm-Vertonung eines jüdischen Komponisten auf. Arnold Schönberg notierte wenige Monate vor seinem Tod 1951 als letzten musikalischen Gedanken den ergreifenden Dialog eines erlösungsbedürftigen Menschen mit Gott. So, wie dies auch die alttestamentarischen 150 Psalmen prägt. Schönberg plante damals einen ganzen Zyklus sogenannter »Moderner Psalmen« auf der Textgrundlage seiner persönlich angelegten Sammlung von »Gebeten und anderen Gesprächen mit und über Gott«. Vertonen konnte er jedoch einzig den ersten, dem er die Ordnungsnummer »151« voranstellte - Ausdruck seines Sendungsbewusstseins wie seiner tief im Glauben verwurzelten Kunst.
Diesem tief bewegenden Vermächtnis Schönbergs nahm sich nun in der Tübinger Stiftskirche der Chor der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) mit dem Stuttgarter Orchester Sinfonia 02 an. Was für eine Aufgabe für ein nichtprofessionelles, wiewohl ambitioniertes Ensemble! Und was für ein unkonventioneller Beitrag zum 150. Geburtstag des Komponisten.
Souverän in der Zwölftonstruktur
Der Ambition folgte die Qualität. Der von Jan Stoertzenbach vorzüglich einstudierte KHG-Chor erwies sich souverän im Umgang mit der Zwölftonstruktur, sowohl linear im Verlauf der Einzelstimmen als auch im Zusammenklang. Hierbei gewann im Verbund mit dem Orchester der Dirigent mit seiner präzisen Zeichengebung und seiner klangmodellierenden Gestik dem Werk ein hohes Maß an Sinnlichkeit und Expressivität ab.
Überdies fesselte Sebastian Walser als Sprecher die Aufmerksamkeit des Publikums. Der international konzertierende junge Bariton war für die Umsetzung von Schönbergs Prinzip einer »Sprechmelodie« ideal besetzt. Diese verlangt die Musikalität eines Sängers wie die Deklamationsschärfe eines Rezitators. Die Sprechstimme gleitet dabei zwischen den vorgegebenen Noten hin und her, ohne sie zu singen, muss jedoch den Wortrhythmus genauestens einhalten. Was Walser sehr eindringlich gelang.
Klangsinnliches Requiem
Auch die beiden weiteren Werke kamen aus dem Raritätenkabinett: Brahms' »Schicksalslied« auf einen Text von Hölderlin und das c-Moll-Requiem von Luigi Cherubini. Dieser chorsymphonische Koloss entfaltete in der Stiftskirche seine ganze Schönheit. Stoertzenbach nahm sich hochsensibel und mit spürbarer Leidenschaft der Partitur an, die mit ihrer Instrumentation bereits auf Berlioz und dessen Klangreize weist. Der KHG-Chor erwies sich als perfekter Textgestalter. Die einzelnen Stimmgruppen waren zudem bestens in das Orchestergefüge eingebunden. Mit kontrastfreudiger Ausdrucksgestaltung entfachte die Wiedergabe auf spannungsreiche Weise das frühromantische Feuer der Komposition, sei es im dramatisch akzentuierten »Dies irae«, im zartstimmigen »Pie Jesus« oder im geradezu schwelgerischen Offertorium.
Alleine das Durchhaltevermögen von KHG-Chor und Sinfonia 02-Orchester ist zu bewundern, nach zwei solch anspruchsvollen, zugleich kräftezehrenden Werken noch das selten zu hörende »Schicksalslied« von Brahms anzuschließen. Es gelang ihnen ergreifend bis zum sinfonischen Nachspiel. Zuvor wandelten die Soprane wahrhaft »droben im Licht«, bereiteten ihnen die Bässe »weichen Boden« und woben die Alti und Tenöre ihre Mittelstimmen zur Harmonie der »glänzenden Götterlüfte«, wie dies alles von Hölderlins Text vorgegeben ist. Sehr erfreulich, wie bei diesem Konzert Repertoirewert und künstlerische Qualität zusammenkamen. (GEA)